WEST-BERLIN 1972-1977
inkl. MwSt., kostenloser Versand
Lieferzeit 1 - 3 Werktage
Siebrand Rehberg
West-Berlin 1972-1977
Herausgegeben von Marc Barbey
Text von Erik Steffen
80 Seiten, Hardcover
45 Fotografien
28 x 23 cm
ISBN 978-3-936406-48-1
Der Fotograf Siebrand Rehberg dokumentierte in den siebziger Jahren Fassaden von Altbauten in West-Berlin, meist Kreuzberg, die der Abrissbirne zum Opfer fallen sollten. Eine malerisch-poetische Bestandsaufnahme, die in Schichten Geschichte erzählt, vor allem auf der Erdgeschosshöhe der Gebäude. Sozialdokumentarisch und künstlerisch zugleich. Bröckelnde Fassaden, verblassende Schriften, verschwundene Gewerbe, verwitterte Portale, ramponierte Türen und Jalousien. Hier leben Alteingesessene und vor allem junge Neuzugezogene, die fantasievolle Spuren hinterlassen haben. Anarchischer Gestus und politische Empörung einer farbenfrohen Hippie-Ära. „Diese Fotografien“, so der Fotograf Michael Schmidt, Lehrer und Freund, „sollten wie populäre Musikstücke der Siebziger sein. Wenn eine spätere Generation sie sieht, sollten sie die Erinnerung an diese Zeit auslösen“.
Fotograf
Siebrand Rehberg wurde 1943 in Aurich geboren. Er kam 1969 nach West-Berlin, um Kunst zu studieren. Fasziniert von der Stadt und vor allem Kreuzberg, wo er noch heute lebt, wandte er sich der Fotografie zu. Die Werkstatt für Photographie und Michael Schmidt werden zu wichtigen Impulsgebern, Fritz Eschen und Friedrich Seidenstücker zu historischen Vorbildern. 1971 bis 1973 die Ausbildung zum Fotografen beim Lette-Verein, danach Freier Mitarbeiter u.a. für die ZEIT und den Spiegel. Ab 1976 Arbeiten als selbstständiger Fotograf in den Bereichen der Architektur-, Interieur- und Stadtansichtsfotografie mit Fotoatelier in Kreuzberg. Hier entstehen Beiträge für über hundert Prospekte und Publikationen, darunter der PR-Prospekt „Die Farbe Lila“ für Minol mit Fotografien von Tankstellen in der ehemaligen DDR. Danach umfangreiche Dokumentation des Hauses Ulla und Heiner Pietzsch, bekannte Kunstsammler in Berlin. 2014 die Ausstellung „Berliner. Signale des Aufbruchs“ bei Collection Regard mit Publikation beim Nicolai Verlag. Sie zeigt Berlin in den frühen Siebzigerjahren jenseits von Melancholie und Nostalgie.
Herausgeber und Autor
Marc Barbey wurde 1971 in Paris geboren, studierte Betriebswirtschaft in Angers und Edinburgh und war 20 Jahre im Internationalen Vertrieb, insbesondere in der Softwarebranche tätig. Er lebt in Berlin, der Geburtsstadt seiner privaten Fotosammlung „Collection Regard“, deren Schwerpunkte Berlin und deutsche Fotografie sind. Wie der Name der Collection Regard (regard = Blick), so auch ihre Zielsetzung: die Sammlung nimmt fotografische Werke und Fotografen in den Blick, die Aufmerksamkeit verdienen und möchte der interessierten Öffentlichkeit durch kuratierte Einzelausstellungen mit ausstellungsbegleitenden Publikationen und Salons Photographique Entdeckungen bzw. Wiederentdeckungen ermöglichen. Mit ihrem Wirken nimmt die Collection Regard bewusst eine Position zwischen Museum und Galerie ein. Besondere Berücksichtigung erfährt das umfangreiche Oeuvre von Hein Gorny (1904–1967), dessen Nachlass Marc Barbey verwaltet.
Erik Steffen wurde 1963 in Herford geboren. Er lebt und arbeitet seit 1986 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik, Publizistik und Soziologie als Lektor, Publizist, Kurator und Literaturvermittler tätig. Schwerpunkt seiner Arbeit ist Kreuzberg, das auch sein Lebensmittelpunkt ist. Seit 2011 Zusammenarbeit mit Siebrand Rehberg. Gemeinsame Publikationen „Stillstand und Bewegung. Menschen in Kreuzberg“ (Berlin Story Verlag, 2012) und „Signale des Aufbruchs“ (Nicolai Verlag, 2014). Veröffentlichungen im TAGESSPIEGEL, „DreckSack, Zeitschrift für lesbare Literatur“ und diversen Anthologien.
Presse
Corinna Kolbe, Spiegel online, 15.03.2016
Die Luftschlösser der Anarchisten
In verfallenen Kreuzberger Altbauten lebten in den Siebzigern viele Aussteiger und Freaks. Siebrand Rehbergs poetische Farbaufnahmen zeigen West-Berliner Stadtviertel wenige Jahre vor den ersten Hausbesetzungen.
... Orangefarben ist auch das Wort "Luftschloss", das anderswo in ungelenker Schrift auf einer Scheibe steht. Treffender lässt sich das damalige Lebensgefühl wohl kaum auf den Punkt bringen. Nahe der Mauer, die West- von Ost-Berlin trennte, hatten sich die Kreuzberger ein Biotop ohne bürgerliche Zwänge erschaffen.
Wie im Paris der Surrealisten wurde auch in Berlin der urbane Raum poetisiert, die Grenzen zwischen Kunst und Alltag verschwammen. Laut dem Philosophen Walter Benjamin stieß der Surrealismus "auf die revolutionären Energien, die im 'Veralteten'" erschienen. Und Aragon schrieb in "Der Pariser Bauer": "Bei jedem Schritt, den ich zurück in die Vergangenheit tue, finde ich dieses Gefühl des Seltsamen wieder ( )". Die Berliner Häuser aus dem vorigen Jahrhundert boten ihren Bewohnern nicht nur preiswerte Wohnungen, sondern auch geistige Freiräume, in denen sich neue Gesellschaftsutopien entfalten konnten. ...